Mutige Frauen 03 - Die Tänzerin Von Paris by Annabel Abbs

Mutige Frauen 03 - Die Tänzerin Von Paris by Annabel Abbs

Autor:Annabel Abbs [Abbs, Annabel]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2017-05-14T22:00:00+00:00


Kapitel 16

Oktober 1934, Küsnacht, Zürich

»Heute ist vielleicht der letzte Tag, an dem ich mit meinem Segelboot hinausfahren kann, Miss Joyce.« Doktor Jung hat mich beobachtet, wie ich den langen, von Bäumen gesäumten Weg zu seiner Haustür entlanggelaufen bin, und führt mich nun durch den Garten zu dem kleinen Bootshaus am Seeufer. »Ich nehme nur meine Lieblingspatienten mit.« Er unterbricht sich und lächelt mich an. »Diejenigen, denen ich vertrauen kann, dass sie sich nicht über Bord stürzen.«

»Wieso glauben Sie, dass ich das nicht tun werde?« Ich nehme seine Hand und steige auf das Segelboot, erleichtert, dass ich heute keine Abendrobe trage.

»Wir segeln auf den See hinaus und führen dann unser Gespräch fort. Ich habe Ihre Erinnerungen hier bei mir.« Er klopft auf seine Jackentasche.

»Wie anders alles vom Wasser aus aussieht.« Ich schaute auf die grünen Klappläden und die eisernen Gitter an den Fenstern seines großen, würfelförmigen Hauses. Die Bäume am Ufer stehen jetzt in voller Herbstfarbe – Kupfer und Bronze und Gold. Auf dem See pflügen Boote und Fähren weiß schäumende Furchen durch das Wasser, während über uns schwarzköpfige Möwen ihre Kreise ziehen.

»Ja, man sieht die Dinge von hier aus ganz anders.« Der Doktor zieht mein Manuskript hervor und legt es neben sich auf die Bank, wo ich beobachte, wie der Wind daran leckt. »Keine Sorge, Miss Joyce, es weht nicht fort.« Er nestelt an den Segeln herum und legt dann einen großen Stein auf meine Erinnerungen.

»Wo möchten Sie heute anfangen? Vielleicht bei Doktor Naegeli?« Er zieht eine Leine zu sich heran und lässt sie dann wieder locker, als das Boot zu wenden beginnt. Ich blicke in Richtung Zürich, das wie ein dunkler Fleck am Ende des Sees liegt.

»Ich habe Babbo gesagt, dass die Syphilis, wenn ich sie denn hätte, mein Fehler wäre – ganz allein meiner. Wegen der Dinge, die ich getan habe. Wegen der schlimmen Dinge.«

»Und was hat Ihr Vater gesagt?«

»Er meint, es wäre allein sein Fehler. Aber ich glaube ihm nicht. Er ist so gut, so rein.«

Doktor Jung runzelte die Stirn. »Erzählen Sie mir von all den Krankheiten, die Ihr Vater hatte. Und von seinen Augen. Er ist so gut wie blind, sagten Sie?«

»Er hat immer wieder Anfälle von Iritis, wobei seine Iris anschwillt. Die Ärzte wollen, dass er dagegen Arsen nimmt, aber das kann einen umbringen, und er kennt jemanden, der nach der Einnahme ins Koma gefallen ist. Doch er leidet auch unter Bindehautentzündung und grünem Star und etwas, das Episkleritis heißt, und etwas anderes, das Blep… Blep… genannt wird.« Ich fahre mir mit der Hand an die Schläfe. Wieso kann ich mich nicht an den Namen erinnern?

»Blepharitis?«

»Ja. Und er leidet an Ermüdung und nervöser Erschöpfung. Babbo sagt, er hat das alles wegen seiner vielen Verfehlungen verdient, aber ich glaube, dass es meine Schuld ist.« Ich blicke auf, am Doktor vorbei, auf die Berge, die sich in Wellen hinter Zürich auftürmen.

»Nein, Miss Joyce. Das ist nicht Ihre Schuld.« Doktor Jung senkt die Stimme, als führe er Selbstgespräche. »Arsen. Furunkel … bekommt er Furunkel? Appetitlosigkeit?«

»Ja, manchmal. Aber die



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